Mediathek

"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Macron Universaldienst

Während seinem Wahlkampf hat der französische Präsident Macron im März 2017 die Einführung oder Wiedereinführung eines allgemeinen und obligatorischen Nationaldienstes angekündigt.




->Download
artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_07_200px.png
Er sollte von sämtliche Französinnen und Franzosen in einem bestimmten Alter, vermutlich so um das zwanzigste Lebensjahr herum, im Umfang von mindestens einem Monat absolviert werden. Jetzt wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche im April ihren Bericht abliefern soll. Während die Verteidigungsministerin Florence Parly von einem halbwegs freiwilligen Einsatz spricht, beharrt der Innenminister Gérard Collomb auf dem Obligatorium. Man kann auf jeden Fall davon aus­gehen, dass der neue Nationaldienst so etwas wie eine Mischung aus Zivildienst und Militär­dienst wird und dass ein erklärtes Ziel die Zusammenführung aller sozialen Schichten im Land, mindestens während der kurzen Zeit dies Nationaldienstes sein soll.

Diese Idee gefällt mir, und ich bin gespannt auf den konkreten Vorschlag. Tatsächlich lösen sich die traditionellen Beziehungen in der Gesellschaft immer mehr auf, egal, ob wegen des zunehmenden Wohlstandes oder der sozialen Medien, und ich finde es mehr als vernünftig, ich finde es geradezu obligatorisch, dass die Öffentlichkeit versucht, die verschiedenen und verschiedenartigen Indi­vi­du­en wenigstens für eine kurze Zeit mal zusammenzuführen im Rahmen eines oder mehrerer gemein­samer Projekte. Es versteht sich von selber, dass man dabei nicht ausbügeln kann, was zuvor in die Hosen gegangen ist; die Verwandlung halber oder ganzer Vorstädte in Frankreich in spät­mittel­alter­liche Gesellschaften islamischen Glaubens ist ein anderes Problem, mit dem sich andere Instanzen beschäftigen müssen. Aber dass die Jungs und Mädels doch mindestens einen Monat lang Bür­ge­rin­nen und Bürger unter den Fahnen der Republik sein müssen, dass umgekehrt auch die Arbeitslosen zusammen gesperrt werden mit den Absolventen der Elitehochschulen, diese Idee ist schlicht und einfach richtig, wenn man noch den Rest eines Glaubens an den modernen Staat bewahrt hat.

Dabei bin ich ja schon viel weiter, ich habe das an dieser Stelle auch schon geschildert. Von mir aus dauert der erste Dienst, der meinetwegen Nationaldienst, besser aber Bürgerinnen- und Bürger­dienst heißen soll, mindestens drei Monate, und aber vor allem wird er dann in gewissen Abständen wiederholt, sagen wir mal: alle zehn Jahre wieder einen Monat. Bei diesen Einsätzen wird es um eine Mischung zwischen zivilen Aktivitäten, zum Beispiel im Bereich Katastrophenschutz, und Schulung und Bildung gehen. Solange eine Armee geführt wird, bilden die entsprechenden Trai­nings- und Ausbildungs-Einheiten einen Bestandteil dieses Dienstes, in der Praxis vermutlich getrennt davon, mindestens in den fachlichen Teilen.

Neben den ganz elementaren sozialen Kontakten, von denen ich mir vor allem zu Beginn auch ordentlich viel Konflikte erhoffe, deren Lösung fast den wichtigsten Bestandteil des ganzen Projekts darstellt, und der zu erledigenden Arbeit kommen verschiedene Dienstleistungen zum Tragen. Man kann sicherstellen, dass die Mehrheit der Teilnehmenden besser informiert und zum Teil auch besser geschult aus den entsprechenden Kursen nach Hause zurückkehrt. Mit zunehmendem Alter gewinnt die Teilnahme an diesem Dienst auch Bedeutung für jene Menschen, die aus einem bisherigen Leben herausgefallen sind, sei es wegen Scheidung, Todesfällen oder anderen Ereignissen, wie sie das moderne Leben halt genau so bereit hält wie schon immer. Hier werden Stabilisierungsangebote immer wichtiger, und ich bin sicher, dass innert kurzer Zeit gerade für die Älteren ein solcher Dienst zu einer wichtigen Erfahrung, ja sogar zu einer Stütze wird.

Zum Einsatz: Ich habe vorher von Katastrophenschutz-Arbeiten gesprochen, also zum Beispiel Säubern von Gebieten nach Überschwemmungen und so weiter. Aber im Kern kann man daraus auch ganz einfach Schulungsreisen machen. Für die Schweiz hatte ich mir zum Beispiel ungefähr fünf Haupt-Routen vorgestellt, die man somit im 30., im 40., im 50., im 60. und im 70. Altersjahr absolviert, je nach Gesundheitszustand teilweise zu Fuß, sonst halt mit Bahn und Bus. An den verschiedenen Etappenorten gibt es neben den geplanten Schulungsmodulen noch die anderen, die Absolventen des Militärdienstes zum Beispiel üben sich im Schießstand, andere erhalten eine Einführung in Geografie und Geschichte, was weiß denn ich. Etwas später habe ich gemerkt, dass hier auch eine Möglichkeit vorliegt, um den, mir nicht besonders lieben Charakter des Nationalen zu sprengen, indem solche Kurse dann halt eben international veranstaltet werden. Das würde zum Beispiel für den Schweizer BürgerInnen-Dienst heißen, dass man im Alter von 50 Jahren einen Monat lang in der Gegend von Jekaterinburg herum läuft, Kanäle gräbt und Fleischravioli isst. Wenn man so etwas auf internationaler Ebene verallgemeinern kann, ist das überhaupt kein Problem.

Und wenn nun eben der Macron den Anfang macht damit, soll man ihn loben. Das wollte ich hierzu auch noch gesagt haben.

Ein Weiteres: Wenn ich das richtig gesehen habe, befindet sich die thüringische Abteilung der Par­tei Die Linke im Moment gerade in so etwas wie einem Selbstfindungsprozess in Sachen bedin­gungs­loses Grundeinkommen. Ich weiß jetzt nicht genau, wie das am Schluss herauskommen wird, aber allein die Tatsache, dass man sich offenbar ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt, gefällt mir sehr gut. Auf Bundesebene verfügt ja Katja Kipping durchaus nicht über eine richtige Mehrheit oder Rückendeckung in dieser Angelegenheit. Ich gehe davon aus, dass man in Thüringen die ent­sprechenden Papiere der parteiinternen Bundesarbeitsgruppe diskutiert, und da liegt guter Stoff vor, wobei ich zugeben muss, dass ich das Finanzierungspapier noch immer nicht ganz ver­stan­den habe. Rein mathematisch und statistisch muss es einigermaßen stimmen, sonst würde die BAG es ja nicht vorlegen, aber dass bei einem Grundeinkommen mit diesem Finanzierungsmodell alle Menschen bis zu einem Bruttoverdienst von 7000 Euro im Monat besser fahren würden, das kann ich mir nach wie vor nicht erklären.

In den meisten Ländern und Finanzierungsmodellen braucht es nämlich eindeutig mehr Geldmittel, sei es zur Begleichung der steigenden Ansprüche, in Deutschland zum Beispiel im Vergleich mit Hartz IV, immerhin ein paar hundert Euro pro Monat und Person, vor allem aber für das Grund­ein­kom­men von Paaren und Familien, wo der eine Partner nicht arbeitet; hier fallen enorme Mehr­auf­wände an, und zwar zu Recht, weil das Grundeinkommen ja bekanntlich ein Recht pro Indi­viduum ist und nicht pro Ehepaar.

Die Finanzierung solcher Mehrausgaben erfolgt über die Steuern, und bei der Besteuerung bezie­hungsweise bei der Festlegung der Ansätze wird man darauf achten, dass den Menschen genug zum Leben bleibt und, soweit ihr Einkommen es erlaubt, noch etwas mehr oder sogar ordentlich viel mehr, und die Steuern sollen grundsätzlich nur von diesem ordentlich viel mehr abgreifen, und zwar in progressiver Art und Weise; das ist ein alter Grundsatz des Steuersystems. Neben den Lebens­hal­tungskosten wird ein durchschnittliches Einkommen auch in einem gewissen Umfang erlauben, etwas anzusparen, und ich spreche hier nicht von den hohen und gewaltigen Einkommen und Vermögen, welche sowieso eine Kategorie für sich darstellen, sondern das, was in der sogenannten Mittelklasse möglich ist beziehungsweise diese gerade erst von den Armen abhebt. Das Sparen ist einerseits eine volkswirtschaftliche Größe, die angibt, welchen Einkommensteil man neben den Staatsabgaben für Investitionen in die Wirt­schaft bereit hält; und es ist zudem eine individuelle Größe, welche den finanziellen Handlungs­spielraum der Menschen definiert. Letzte Woche habe ich nun eine Studie der Diba-Diba-Du-Bank, also der Ing-DiBa gesehen, die sich mit diesem Thema befasst hat. Es handelt sich um die Ergebnisse einer Umfrage, die Ende 2017 in verschiedenen europäischen Ländern und für Deutschland noch einzeln in den Bundesländern durchgeführt wurde. Zum ersten hat mich erstaunt, dass in Deutschland immer noch 27 Prozent der Befragten angeben, über überhaupt keine Ersparnisse zu verfügen. Das ist der zweithöchste Wert in den untersuchten Ländern, hinter Rumänien mit 35%, allerdings nur knapp vor den übrigen wichtigen europäischen Ländern. Innerhalb Deutschlands aber liegt ihr, geschätzte Hörerinnen und Hörer in Thüringen, mit Abstand an der Spitze mit 44% der Befragten, die angaben, sie würden über keine Ersparnisse verfügen.

In einem gewissen Sinne hat mich dies nicht erstaunt, ganz einfach aus dem Grund, weil die Men­schen in den neuen Bundesländern im Gegensatz zu den alten Bundesländern lange gar keine Ge­le­genheit hatten, etwas anzusparen. Soweit es sich um Immobilien handelt, habt ihr natürlich etwas aufgeholt, aber in den anderen Bereichen müsstet ihr deutlich hinter dem Westen zurück liegen, nicht zuletzt, weil neben dem Lohnsparen auch zunehmend ererbtes Vermögen in den Spartopf fließt, und in der DDR war es wohl nicht besonders einfach, Vermögen anzuhäufen. Dem­ent­spre­chend fällt dieser Faktor im Osten immer noch weitgehend weg, im Gegensatz zum Westen, wo mindestens kleine Erbgänge die Regel sein dürften. Umso mehr verblüfft es mich, dass Sachsen bei der ING DiBa-Umfrage nach Hamburg und dem Saarland den dritten Platz einnimmt auf dieser Rangliste; hier gaben nur 16% der Befragten an, nichts angespart zu haben.

Was das Sparen beim Erwerbseinkommen angeht, so erleben wir im Moment in den Vereinigten Staaten eine lustige Geschichte. Der Präsidentenkasper hat für seine Klientel unter den Superreichen die Unternehmensgewinnsteuer zusammen gehauen, und jetzt zahlen die ihm diese Gunstbezeugung zurück, indem sie reihenweise in der Öffentlichkeit Lohnerhöhungen für ihre Angestellten ankündigen und zum Teil sogar auch zugestehen. Damit steigt nun zum einen das Sparpotenzial der glücklichen Arbeitnehmerinnen in den USA. Anderseits erfolgt sofort als Gegenreaktion an der Börse der Kurseinbruch, weshalb, man geht allgemein davon aus, dass die Konsumwelt eine solche Lohnerhöhung nicht einfach so als Anhebung der Sparquote hinnehmen wird, sondern dass sie wieder eine Inflationsspirale einleiten wird. Inflation bedeutet höhere Zinsen, höhere Zinsen bedeuten Verteuerung des geliehenen Geldes, das wiederum bedeutet Abfluss von Geldern aus der Börse, wo geliehene Gelder nun lange Zeit höhere Renditen abwarfen als die Geldkosten, und jetzt verschiebt sich das wieder. Am Schluss haben wir ein Nullsummenspiel, die Lohnerhöhung wird von der Inflation aufgefressen.

Aber unter uns: Dies ist natürlich reine Kochbuch-Ökonomie, und zwar nicht der gehobenen Küche. Die reale Entwicklung in der Wirtschaft, auf den Kapitalmärkten und im Lohnbereich verläuft in der Regel ganz anders. Es ist also auch für das Proletariat in den Vereinigten Staaten nicht alle Hoffnung verloren.



Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
13.02.2018

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.