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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Äthiopien

Der Webseite africanews.com und dort ihrem Rückblick auf das Wirtschaftsjahr 2017 entnehme ich, dass sowohl die Weltbank als auch der Internationale Währungsfonds eine hohe Meinung haben von der wirtschaftlichen Entwicklung in Äthiopien.



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Tatsächlich weist dieses Land seit Jahren Wachstumsraten von fast 10 Prozent aus. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Volksrepublik China. Sie finanziert und erstellt unter ande­rem Infrastrukturbauten wie zum Beispiel eine Untergrundbahn in der Hauptstadt Addis Abeba, die 2016 eröffnet wurde nach nur dreijähriger Bauzeit. Die Neue Zürcher Zeitung meint dazu, dass dies nur möglich gewesen sei wegen des Einsatzes chinesischer Strafgefangener. Aber China hat in Äthio­pien auch Fabriken aufgestellt, in welchen Schuhe und andere Konsumgüter für den euro­pä­i­schen Markt produziert werden. Ein Staudamm an der Grenze zum Sudan soll die Stromversorgung sicherstellen. Und nachdem in den letzten Jahren immer wie­der von Repressionswellen die Rede war und von der Unterdrückung der ethnischen Minderheit der Oromo, hat das Land das neue Jahr mit einem Paukenschlag eröffnet: Es will sämtliche politischen Gefangenen frei lassen. Die Spannung steigt: Sollte der rasante Aufstieg Äthiopiens von einem der ärmsten Länder der Welt zu einem Schwellenland tatsächlich gelingen und zudem noch verbunden sein mit einer echten poli­tischen Liberalisierung, so würden wir dort mit Sicherheit Zeuge eines weiteren Weltwunders nach dem, das wir seit zwanzig oder dreißig Jahren in der Volksrepublik China erleben, wobei ich dort die politische Liberalisierung nicht in den allerbuntesten Farben ausmalen würde; aber wenn wir uns mal darauf einigen können, dass an China nicht jene Maßstäbe anzulegen sind, die wir anhand unserer eigenen Entwicklung ausgebildet haben, dann können wir auch einräumen, dass mit dem steigenden Wohlstand durchaus ein gewaltiger Anstieg der persön­lichen Freiheiten einher gegangen ist, der eigentlich nur noch ganz oben an der Oberfläche an seine Grenzen stößt durch die unsicht­bare Hand des Marktes, nein, natürlich der Kommunistischen Partei, und diese Hand ist natürlich außerordentlich sichtbar, aber das ist wieder ein anderes Kapitel. Wie das aber in Äthi­o­pien aus­se­hen wird, das werden wir demnächst den ehemaligen äthiopischen Gesund­heitsminister Doktor Tedros Adhanom Ghebre Jesus fragen, wenn wir mit ihm über den Verbleib der 500'000 US-Dollar sprechen werden, die er unmittelbar nach seiner Wahl zum neuen Chef der Weltgesundheits­orga­nisation vom unterdessen verschwundenen zimbabwischen Graupen­monster Robert Mugabe erhielt dafür, dass er ihn zum Sonderbotschafter der WHO ernannte. Ein Weltwunder auch er, Doktor Tedros.

Vor einem Jahr wurde sodann die neue Eisenbahnverbindung zwischen der äthiopischen Haup­t­stadt Addis Abeba und Djibouti am Roten Meer eröffnet. Auch hier zeichnet China als Haupt­projekt­träger verantwortlich. Zufälli­gerweise ist die Hafenstadt Djibouti gleichzeitig Standort des ersten chinesischen Militär­stütz­punk­tes auf dem afrikanischen Kontinent; allerdings sind in Djibouti auch die USA, Frankreich, das pazifistische Japan und Spanien militärisch vertreten. Aber neu jetzt eben auch China.

Die Strecke zwischen Addis Abbeba und Djibouti ist 750 Kilometer lang und damit fast doppelt so lang wie die Eisenbahn-Neubaustrecke zwischen Mombasa und Nairobi in Kenia, welche ebenfalls von den Chinesen finanziert und gebaut wurde und letzten Sommer den Betrieb aufnahm. Auch Kenia legt seit Jahren stabil positive Wirtschaftsdaten vor, nicht ganz so eindrücklich wie Äthio­pien, vielleicht auch deswegen, weil Äthiopien sich nicht dazu verpflichtet fühlt, alle paar Jahre eine demokratische Wahlfarce aufzuführen wie grad im letzten Jahr in Kenia, bis das gewünschte Ergebnis feststeht. Äthiopien hat sich für ein Einparteien-System entschieden, wobei die eine Partei aus vier Parteien besteht, ansonsten aber ziemlich wie die KP Chinas aufgebaut ist. Dieses Modell scheint in Ländern mit geringer demokratischer Tradition und großem wirtschaftlichem Nachhol­bedarf besser zu wirken als der Dreizack aus Menschenrechten, Demokratie und einem je nach Land individuell wählbaren weiteren Faktor, den die kompetenten und wohlmeinenden Fachjour­nalistInnen und Nichtregierungsorganisationen in der gesamten unterentwickelten Welt anmahnen.

Jedenfalls hat der Internationale Währungsfonds, immer noch gemäß der Webseite africanews, die äthiopische Wirtschaft unterdessen als die wichtigste in Ostafrika bezeichnet; sie übertrifft seit letztem Jahr eben jene von Kenia. Bei den Informationen zu anderen Regionen in Afrika stechen mir die Angaben zu Angola ins Auge. Die neue Regierung von Joao Lourenço habe die Tochter des vorherigen Regierungschefs, Isabel dos Santos, als Leiterin der staatlichen Erdölgesellschaft SONANGOL gefeuert und ersetzt durch eine frühere Managerin, die ihrerseits von Isabel entlassen worden war. Isabel ist aber immer noch die reichste Frau Afrikas, und die angolanische Hauptstadt Luanda wird von der Beratungsfirma Mercer gegenwärtig als teuerste Stadt der ganzen Welt geführt vor Hongkong, Tokio, Zürich, Singapur, Seoul, Genf, Schanghai, New York und Bern.

Die Republik Kongo zählt wie ihre Schwester, die Demokratische Republik Kongo, zu jenen Ländern, in welchen zum Gefallen der Geldgeber in den multilateralen Organisationen und der Öffentlichkeit in den bestimmenden westlichen Nationen regelmäßig ein Demokratiespektakel abgehalten wird wie in Kenia. Von Joseph Kabila in der Demokratischen Republik Kongo spreche ich hin und wieder; heute kann ich vermelden, dass sein Gegenstück in Brazzaville in der Republik Kongo, Denis Sanssouci Nguesso, vor einem halben Jahr die Inbetriebnahme des Erdölfeldes Moho Nord bekannt geben konnte. Verantwortlich für die Ausbeutung ist die französische Total. In diesem Jahr ist die Eröffnung des Feldes Banga Kayo geplant; es soll 50'000 Fass pro Tag bringen, die Hälfte von Moho Nord, und hier ging die Konzession an die chinesische Wing Wah Petrochemical. Gegen Ende des letzten Jahres eröffnete Sassou Nguesso ein weiteres Großprojekt, diesmal eine Zementfabrik von Aliko Dangote. Bei Dangote soll es sich um den reichsten Mann Afrikas handeln, und seine Zementfabriken stehen bisher in Sambia, Kamerun, Tansanien – und in Äthiopien. Er will in nächster Zeit einer der zehn weltgrößten Zementproduzenten werden, was die französische Lafarge-Holcim als Weltmarktführerin mit Interesse zur Kenntnis genommen haben wird. Dangote ist laut Forbes 14 Milliarden US-Dollar schwer und besitzt neben Zementfabriken Anteile an Salz-, Zucker- und Mehlherstellern, die meisten davon hauptsächlich mit Staatsaufträgen. Wohnen tut Dangote in Nigeria, und studiert hat er in Ägypten.

Auf der franözsischsprachigen Webseite jeuneafrique begrüßt eine Werbebotschaft für ein Buch des chinesischen Gesamtchefs Xi Jinping die Besucherin; daneben finden sich hier eher Nachrichten aus dem politischen Alltag neben einzelnen Wirtschaftsmeldungen wie zum Beispiel über Moov Côte d'Ivoire, eine Filiale der marokkanischen Telecomgesellschaft, die sich seit über 11 Jahren gut hält in der Elfenbeinküste. Nichts dagegen findet sich über den Entzug der Bankenlizenz für 5 Banken in Tansania wegen des Verstoßes gegen die Kernkapital-Vorschriften, oder dass im Telecomsektor nach wie vor der Ägypter Nagib Sawiris mit einem Vermögen von 4 Milliarden Dollar einer der 25 in Afrika wohnhaften Milliardäre ist oder dass diese Milliardäre mit wenigen Ausnahmen in Südafrika, Ägypten, Nigeria und Marokko wohnhaft sind. Mit anderen Worten: die englischsprachige Seite konzentriert sich im Businessbereich auf Informationen, die ich eher als strukturell wesentlich empfinde als die Nachrichten aus der Welt der afrikanischen Politik. Hier, also in der Politik, wird für die Öffentlichkeit Luft und Schaum produziert, während die Wirtschaftsdaten doch mindestens den Anschein des Faktischen erwecken.

Weshalb ich übrigens immer wieder auf Afrika komme, zeigt das Beispiel Äthiopien am besten. Während sich die Länder Europas zerreißen über eine gemeinsame Innen- und Außenpolitik, basteln die Chinesen praktisch unbemerkt und mit den gigantischen Finanzmitteln, welche sie in den letzten zwanzig Jahren aus dem Außenhandel erzeugt haben, nicht nur eine eigene Einfluss­sphäre in Afrika, sondern sie haben sogar Erfolg damit, durchaus im Gegensatz zum Modell der Franzosen, die zwar mit Investitionen nicht ganz untätig sind, dies aber doch dem Privatsektor überlassen, während die offizielle Politik sich auf Militärinterventionen und auf die Erhaltung von Strukturen konzentriert, die den Einfluss Frankreichs sichern. Vom Rest Europas ist in der Bezie­hung sowieso nichts zu erwarten. Das ist doch verblüffend. So beschädigt der aktuelle Super­natio­na­lismus innerhalb Europas die Interessen der EU-Mitgliedsländer, welche sich im Moment so gerieren, als gäbe es für sie kein Morgen. Man jammert über die Flüchtlingskrise, insbesondere über die Invasionstruppen aus Nordafrika, die offenbar schlimmer wüten als seinerzeit die deutschen Stukas und Panzer und Polizeibataillone an der Ostfront; und selbstverständlich vergisst man dabei, dass es im vitalsten Interesse der EU wäre, die Länder in Nordafrika schleunigst mit irgendwelchen Assoziationsabkommen in die EU ein- oder an die EU anzubinden. Dieser Zug steht auf jeden Fall abfahrbereit, und es sieht nicht so aus, als würde vorne dran eine euro­päische Lokomotive ziehen. Und das hat man selbstverständlich den nationalistischen Bewegungen zu verdanken, vor allem aber den traditionellen politischen und intellektuellen Kräften, die es ein­fach verschnarcht haben, die Bevölkerung auf solche Entwicklungen hinzuweisen. Aber klar: Wenn man sich derart schwer tut mit eigenen Infrastrukturprojekten, einmal abgesehen von der Eisen­bahn­linie Berlin-München, die ja nun trotz allem in Betrieb gegangen ist, aber der Flughafen Berlin bietet ja ein derartiges Spektakel, dass man sich im neutralen Ausland nicht einmal mehr dazu zu äußern wagt, so peinlich ist das, in erster Linie übrigens deswegen, weil der Zentralstaat es nach wie vor nicht wagt, seiner Hauptstadt die Zuständigkeit für dieses Schlamassel per Notrecht zu entziehen und das Teil ganz einfach mal fertig zu bauen... Wie sollte man sich da um die Infrastrukturen in Nordafrika kümmern, oder wie soll man seiner nationalistisch aufgeheizten Inland-Klientel verklickern, dass man im Maghreb nicht nur Konkurrenten, sondern auch Partner für die Zukunft pflegen soll, ja muss?

Afrika zählte 2017 also 25 Millionäre, laut Forbes. In Deutschland waren es je nach Schätzung 182, 187 oder 195 Milliardärinnen und Milliardäre. An ihrer Spitze steht die Familie Reimann, die Besitzer des britischen Konzerns Reckitt Benckiser, vor den BMW-Erben Klatten und Quandt. In Asien sind es etwa 700 Stück, vor allem in China und Indien, wobei gewisse chinesische Quellen behaupten, dass es allein in China unterdessen über 600 Vermögensmilliardäre gebe. In den Vereinigten Staaten leben um die 600 Superreiche. Die Voraussetzungen für einen guten Start ins Neue Jahr 2018 sind also wunderbar. Auch in diesem Jahr werden uns ein paar bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler nachweisen, dass Thomas Piketty mit seiner Theorie von den zunehmenden Vermögensungleichgewichten in der entwickelten Welt nicht recht hatte und dass die Ärmsten demnächst die wahren Reichen sein werden in Berlin, London, Paris und New York. Aber das ist ein anderes Kapitel.







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Albert Jörimann
09.01.2018

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